Schwer schnaufend warf Will das Brecheisen beiseite. Endlich, nach Stunden der Anstrengung, war es ihm gelungen, die Steine wegzudrücken und einen kleinen Gang freizulegen, der ihn ins Innere des Grabes lassen würde. Mühsam zwängte er sich hindurch, dann war es geschafft. Er stand in der Vorkammer. Irgendwo hier musste die Alte doch ihre Schätze versteckt haben. Vorsichtig schritt er weiter, jeden Zentimeter des Bodens kontrollierend, die Decke und Wände scharf beobachtend. Er wollte ja keiner Falle zum Opfer fallen. Bei dem Gedanken lachte er leise auf. Doch irgendwie hatte sich sein Lachen etwas verändert. Instinktiv warf er sich zur Seite, als eine magische Entladung den Boden traf, wo er gerade noch gelegen hatte. Die Alte hatte einfach keinen Humor. Er hörte ein leises Klackern und dann einen lauten Schlag. Staub füllte den Raum, als sein kleiner Gang einstürzte. So ein Mist! Hoffentlich reichte die Luft, bis er sich einen Weg nach draußen gegraben hatte. Er stand auf und sein letzter Gedanke war "einmal nicht aufgepasst", als er den Speer betrachtete, der ihn aufgespießt hatte.

Er rannte durch die Nacht, seine Häscher ihm dicht auf den Fersen. Hinter ihm brannte die erste Hütte in seinem Dorf. Das Mädchen hatte er fest an die Brust gedrückt. Wenn er erstmal im Sumpf war, konnte er alle abhängen. In die Schatten dort konnten sie ihm nicht folgen. Mit einem Mal zuckte ein scharfer Schmerz durch sein Bein. Sein Knöchel. Er war in eines dieser verdammten Kaninchenlöcher getreten. Er stürzte zu Boden und das Kind entglitt ihm. Die Kleine rollte noch einen Schritt weiter und kam am Ufer des Baches zu liegen. Verzweifelt blickte er zu ihr hin. Dann waren sie über ihm. Sie schleiften ihn das Stück zum Bach und bald schon füllte das Wasser seine Lungen. Kurze Zeit später trieben zwei Leichen langsam im seichten Wasser dahin.

Milan blickte verzweifelt über die Berge an Akten auf seinem Schreibtisch, auf dem Sofa, dem Esstisch, dem Boden. Menschen, besonders Steinsberger, waren anscheinend Meister darin alles besonders kompliziert und aufwendig zu dokumentieren oder zu beantragen. Er verstand die Gilde zur Besitzumverteilung inzwischen recht gut. Sich einfach das nehmen, was man wollte, quittieren und fertig. Und er wollte die Informationen über dieses Bild des Regenbogens und was damit geschehen war. Inzwischen hatte er Ausgabebelege gefunden und Rückgabescheine zugeordnet. Da sind anscheinend mehr Teile in die Asservatenkammer zurückgegeben worden, als jemals ausgegeben wurden. Milan kam der Verdacht, dass der ein oder andere die Kammer als Entsorgungsort für seinen persönlichen Kram nutzte. Andere Ausgaben erfolgten erst Tage nach der Rückgabe des Artefakts. Entweder war dem so, er vermutete eher, dass es einem Angestellten erst auffiel, dass etwas weg war, wenn es zurückkam. Und dieses eine Regenbogenbild, das die Kamera produziert hatte, bestand den Unterlagen nach aus vier Teilen. Und wo die abgeblieben sind, war ihm ein Rätsel. Da gab es so viele Spuren und Möglichkeiten. Zu Glück hatte er ja einige Unterstützer. Und so setzte er sich an den Tisch, schob die Stapel aus Pergament, Papyrus und Sonstigem beiseite und schrieb den Brief.

Sie packte die Tasse und warf sie ihrem Neffen hinterher. Neffe? Zecke, Schmarotzer, Parasit. Das wären alles bessere Bezeichnungen für diesen Widerling gewesen. Mühsam stemmte sie sich aus dem Sessel, hustete kurz und trocken und wischte sich das Blut vom Mund. Ja, sie musste sich wohl damit abfinden, dass es langsam zu Ende ging und ihr ganzes Vermögen ihr da nicht helfen konnte. Dann packte sie den Besen und fegte die Scherben der an der Wohnungstür zerschellten Tasse zusammen. Die gute Tasse. Sie hatte sie von einer Handelsreise nach Kehmet mitgebracht. Ach, all die schönen Reisen. Und heutzutage war es schon eine Reise für sie den Abort aufzusuchen. Der Kerl war genauso wie alle anderen aus ihrer verdammten Sippe. Faul und dumm; gut dafür gab es wohl genug Entschuldigungen. Aber dazu noch skrupellos, arrogant und egoistisch. Bis auf letzteres waren diese Charakterzüge unentschuldbar. Und der letzte hätte, um als in ihren Augen hervorragend gute Eigenschaft zu gelten, eher noch ausgeprägter sein dürfen. Nicht nur dass diese Erbschleicher erst jetzt aus ihren Löchern krochen und sie besuchten. Jetzt, wo sich zeigte, dass sie bald dahinscheiden würde. Sondern auch dieses penetrante "Haben wollen". Und Sätze wie: "Sie könne mit ihrem Reichtum nach ihrem Tod doch nichts mehr anfangen." oder "Du kannst dein Geld doch eh nicht mitnehmen, gib es doch mir." brachten sie, trotz ihres Alters, zur Raserei. Die würden schon sehen! 'Sie konnte ihr Geld nicht mitnehmen', ha. Bisher hatte sie immer alles geschafft, was sie sich vorgenommen hatte. Naja, fast. Bis auf diesen süßen kleinen Zauberer. Den wollte sie zwar auch haben, aber der interessierte sich ja mehr für seine Forschungen als für Frauen. Na gut, das war schon lange her, und gelegentlich schrieben sie sich noch. Aber um einen kleinen Gefallen könnte man ihn doch bitten. Zumal wenn sie für die Erfüllung dieser Bitte die Kosten übernehme. Kichernd schenkte sie sich eine neue Tasse Tee ein. Vielleicht sollte sie eine Kanne mit einem Abführmittel aufsetzen, falls bald der nächste Verwandte hier eindringen sollte. Es war schön, dass das Dorf so klein und übersichtlich war. Da fielen die Aasgeier gleich auf. Nur drei oder vier Familien. Das versprach einen ruhigen Tod und eine sehr individuelle Bestattung. Wieder musste sie kichern; auch wenn es eher wie das Schreien einer Krähe klang.

 

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